05. November 2019 (aktualisiert am 09. Oktober 2021)      Erstellt von Viktoria Szostakowski      Arbeitsleben

Flexible Arbeitszeitmodelle: Machen 4-Tage-Woche und unbegrenzter Urlaub Sinn?

Selbstbestimmtheit, Autonomie, Freiheit und eine gesunde Work-Life-Balance: Diese Werte verbreiten sich in den letzten Jahren in deutschen Unternehmen. Flexible Arbeitszeitmodelle sind Ausdruck dieser Werte und sollen, neben der größeren Produktivität der Mitarbeiter, im War for Talents für einen guten Vorsprung anderen Unternehmen gegenüber sorgen. Von Modellen, wie Gleitzeit, Home Office und Remote Work haben wir schon viel gehört, nun werden Ideen von unbegrenztem Urlaub oder der Vier-Tage-Woche immer populärer. Einige Unternehmen, auch in Deutschland, sind dabei, auch diese alternativen Arbeitszeitmodelle umzusetzen und können bereits von eigenen Erfahrungen und Veränderungen berichten.

Die Vier-Tage-Woche

Bei der Vier-Tage-Woche handelt es sich um ein Arbeitszeitmodell, bei dem lediglich vier Tage in der Woche gearbeitet wird. Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass insgesamt weniger Wochenarbeitsstunden zu leisten sind. Zwar gibt es Unternehmen, die das gleiche Gehalt trotz weniger Arbeitsstunden garantieren, jedoch ist dies eine Seltenheit. Die meisten Unternehmen, die das Arbeitszeitmodell einer Vier-Tage-Woche anbieten, sehen vor, dass die vereinbarten Wochenarbeitsstunden auf vier Tage aufgeteilt werden.

Die Aufteilung der Arbeitsstunden muss innerhalb der arbeitsrechtlichen Vorgaben geschehen – das bedeutet eine Höchstarbeitszeit von acht Stunden pro Tag. Das Gesetz erlaubt jedoch grundsätzlich, dass die tägliche Höchstarbeitszeit auf zehn Stunden ausgebaut werden darf. Der Arbeitgeber muss aber dafür sorgen, dass innerhalb von sechs Monaten durchschnittlich nicht mehr als acht Stunden pro Werktag gearbeitet wird. So ist die Vier-Tage-Woche auch mit dem deutschen Arbeitsrecht vereinbar.

Wenn am Donnerstag schon Wochenende ist

Der im Silicon Valley entstandene Trend wird bei für Innovation bekannten IT-Unternehmen, wie Facebook, Google und Amazon, schon lange umgesetzt und ist mittlerweile auch nach Deutschland übergeschwappt. Im Interview mit dem Magazin t3n erzählen die Unternehmerinnen Anna Kaiser und Jana Tepe, Gründerinnen von Tandemploy, einer innovativen HR-Software, von Ihren Erfahrungen mit der Vier-Stunden-Woche. Seit der Gründung im Jahr 2013 vertrauen die Unternehmerinnen auf flexible Arbeitszeitmodelle.

Bei Tandemploy leistet jeder Mitarbeiter eine durchschnittliche Arbeitszeit von 32 Wochenstunden, jedoch immer nach Wunsch und Bedarf gerichtet. „Wie man seine Stunden verteilt, entscheidet man eigenverantwortlich und natürlich in enger Absprache mit den unmittelbaren Teamkollegen, deren Aufgaben mit den eigenen zusammenhängen. Die Vier-Tage-Woche ist bei uns also eine Option […]“ sagt Jana Tepe.

Zu der Frage nach der Produktivität verweist Anna Kaiser auf die Forschung, die zeigt, dass Teilzeitmodelle gegenüber Vollzeitmodellen die Produktivität steigern. Sie beobachtet in Ihrem Unternehmen, dass „[die Produktivität] in der Praxis schwer messbar [ist], aber ich spüre deutlich, dass wir ein hochmotiviertes Team haben, das […] innovative Produkte auf den Markt bringt“. Außerdem beschreibt Sie die Arbeitsweise im Team als „allermeistens entspannt“, aber „sehr konzentriert“ und „zielorientiert“. Jana Tepe fasst Ihre Erfahrung zum Arbeitszeitmodell in ihrem Unternehmen wie folgt zusammen: „Das hat eigentlich von Beginn an sehr gut funktioniert, weil es einfach auch sehr fest in unserer Kultur verankert ist. Jetzt, wo wir weiterwachsen, merken wir aber, dass es ein paar mehr Regeln braucht. Aus großer Freiheit folgt eben auch große Verantwortung“. Hieran merkt man, dass auch hinter flexiblen und freien Arbeitszeitmodellen ein Bedarf nach Regelungen besteht, jedoch nach eindeutig formloseren. Grundsätzlich würden die beiden Unternehmerinnen jedem Unternehmen „Flexibilität und Lebensfreundlichkeit“ (Kaiser) empfehlen, betonen aber, dass Mitarbeiter miteinbezogen werden müssen und schließen mit dem Fazit: „[…] flexible Unternehmen gestalten wir am Ende alle gemeinsam. Das ist ein Geben und Nehmen“ (Kaiser).

Unbegrenzter Urlaub

Die Personalvermittlung Franz und Wach probiert schon seit einiger Zeit ein alternatives Zeitmodell aus, mit dem das Unternehmen, im Vergleich zu anderen deutschen Unternehmen, viel mutiger ist. Hier gilt nämlich die unbegrenzte Urlaubszeit. Andreas Nusko, Geschäftsführer von Franz und Wach, hat in den Arbeitsverträgen seiner Mitarbeiter die freie Entscheidung, wann diese zur Arbeit kommen, festgehalten. Das klingt sehr gewagt, doch Nusko ist sich sicher: „Das System funktioniert zu 100 Prozent“.

Das Ziel ist es, zu verhindern, dass an Flaute-Tagen im Büro die Arbeitszeit nicht einfach abgesessen und die Urlaubsplanung vereinfacht und effizienter wird. Ein wichtiger Bestandteil dieser Entwicklung ist die Digitalisierung. Digitalisierung ermöglicht die Kommunikation zwischen den Kollegen auch außerhalb des Büros: Videokonferenz, virtuelle Meetings und das Zugreifen auf das firmeninterne Netzwerk sind jetzt auch von Zuhause oder Unterwegs aus möglich. Das alternative Arbeitszeitmodell mit unbegrenztem Urlaub setzt jedoch eine Basis an Vertrauen voraus und muss unter kollegialen und ehrlichen Umständen geschehen.

Unbegrenzter Urlaub in der Realität – wenn das Modell an seine Grenzen stößt

Neben Franz und Wach gibt es auch weitere Unternehmen, die das Arbeitszeitmodell von unbegrenztem Urlaub schon umgesetzt haben. Berichte zeigen, dass unbegrenzter Urlaub auch an seine Grenzen stoßen kann und deshalb ein bestimmte Rahmenregelung benötigt.

Das Matratzen-Startup Casper hat unbegrenzten Urlaub von Anfang eingeführt und wollte somit ein attraktives Arbeitsumfeld schaffen, welches frei von Konkurrenzgedanken ist und stattdessen auf Vertrauen basiert. Im Interview mit der Gründerszene berichten er und weitere Unternehmen von ihren Erfahrungen. Laut Co-Gründer Constantin Eis ist der größte Vorteil dieses Systems, dass Mitarbeitern genügend Freiheiten für das Private eingeräumt wird. „[…] ich glaube, dass die Leute vor allem heute ein selbstbestimmtes Leben führen wollen“. Er hat die Beobachtung gemacht, dass überwiegend dann Urlaub gemacht wird, wenn Brückentage anstehen. Er betont, dass bestimmte Kernarbeitszeiten bestehen, „allerdings sind [die] Teams so aufgebaut, dass unsere Mitarbeiter in diesen Zeiten von überall aus arbeiten können. Das ist das, was die Leute am meisten wertschätzen“. Als Kriterien für das Gelingen nennt Eis die frühe Einführung des Alternativmodells sowie Verantwortungsbewusstsein auf Seiten der Arbeitgeber und -nehmer.

Auch das Unternehmen eShot setzte seit der ersten Stunde auf unbegrenzten Urlaub. Nach sechs Jahren, in denen dieses Modell erfolgreich umgesetzt wurde, stößt es dort nun an seine Grenzen. Anders als Eis, der keine direkten Nachteile sieht, sagt Christian Thum, Co-Gründer von eShot, dass „das System auch unsichere Schwingungen hinterlassen [hat].“ Viele Mitarbeiter konnten mit der neuen Freiheit nichts anfangen und haben sich mit den Kollegen verglichen. Daraus resultierte dann ein sozialer Druck, der die Stimmung im Team belastete. Um dem entgegen zu wirken, setzten die Gründer dann einen Orientierungspunkt von 25 Tagen. Als Grenze des Modells sieht Thum das Unternehmenswachstum: „Hauptgrund ist, dass die Urlaubsorganisation mit dem Wachstum immer schwieriger wird“.

Einen Lösungsweg hat Alexander Graf von Pfeil, Deutschlandmanager von SnappCar, in der Differenzierung zwischen unbegrenzten Urlaubstagen und unbegrenztem Urlaub gefunden. Seiner Ansicht nach, sei autonomes Arbeiten und eine freie Zeiteinteilung Ausdruck für Flexibilität und Selbstbestimmtheit der Mitarbeiter. Als Grundvoraussetzung nennt Pfeil ebenfalls Motivation, Vertrauen und Eigenverantwortung. Wichtig sei, seiner Meinung nach, dass die Arbeit erledigt wird und dass die Mitarbeiter die Urlaube miteinander absprechen, sodass Aufgaben zu Ende gebracht werden können, wenn sie in Abhängigkeit zu urlaubenden Kollegen stehen.

Pfeil rät, den Mitarbeitern zu vertrauen und Freiheiten zu lassen, denn sie würden sich bedanken und motivierter arbeiten, wenn sie nach intensiven Arbeitsphasen selbstbestimmt abschalten können.

Studie zeigt: Geringer Bedarf nach unbegrenztem Urlaub

Das Karrierenetzwerk Xing ist der Frage, ob überhaupt ein Wunsch nach unbegrenztem Urlaub unter den deutschen Arbeitsnehmern besteht, auf den Grund gegangen. Dazu führten Sie eine Studie durch, bei der Sie sowohl junge als auch ältere Arbeitnehmer befragten, ob ein Wunsch nach selbstbestimmten Urlaub mit gewünschter Länge besteht.

Anders als wahrscheinlich erwartet, besteht kein akuter Wunsch nach mehr freien Tagen: Die Jungen hätten zwar durchaus Interesse an einem selbstbestimmten Urlaub mit gewünschter Länge, schließlich setzten auch der Großteil der Startups alternative Arbeitszeitmodelle ein. Die Älteren sind eher kritisch. Wenn es um die Länge des Urlaubs geht, würden sie sogar unterhalb der 30 Tage bleiben. Aber selbst die Jungen träumen nicht von drei Monaten Urlaub im Jahr, laut Umfrage sind rund 34 Tage jährlich ausreichend.

„Die Urlaubswünsche der Befragten fallen sehr bescheiden aus und Erreichbarkeit im Urlaub scheint für sie eine Selbstverständlichkeit. So plagt die meisten Arbeitnehmer die Sorge, vor ihrer Auszeit wichtige Aufgaben nicht mehr erledigen zu können. Unter diesen Vorzeichen scheint es kaum vorstellbar, dass sie im Urlaub so richtig entspannen können“ – Fazit Urlaubsreport 2018, Xing

Was ist bei alternativen Zeitmodellen zu beachten?

Wie aus den Beispielen hervorgeht, gilt es bei der Etablierung alternativer Arbeitszeitmodelle vieles zu beachten. Jonas Geißler, Mitgründer der Beratungsfirma Timesandmore und Unternehmensberater für Zeitkultur und -kompetenz, sagt dazu, dass alternative Modelle zur Arbeitszeit dynamisch entwickelt und individuell auf das jeweilige Unternehmen zugeschnitten werden sollen. Wenn man dies nicht beachtet, lauert laut Geißler die Gefahr, dass Angestellte verunsichert werden und die neuen Freiheiten nicht nutzen. Alternative Zeitmodelle sollen dazu beitragen, Mitarbeiter miteinzubeziehen und nicht zu bedrücken.

Offene Kommunikation und Zusicherung sind ebenfalls ausschlaggebend für eine erfolgreiche Arbeitsgestaltung. Andreas Nusko hat ein Jahr nach der Einführung des „unbegrenzten Urlaubs“ eine firmeninterne Umfrage durchgeführt, die ergab, dass zwar die Mehrheit das neue Zeitmodell als Beitrag zur Work-Life-Balance empfinden, jedoch ein Teil der Befragten vermuten, dass manche Mitarbeiter sich nicht trauen mehr Freizeit einzufordern. „Die Mitarbeiterbefragung zeigt mir, dass wir noch stärker kommunizieren müssen“, so Nusko. Der Geschäftsführer hat sich nun vorgenommen, seinen Mitarbeitern zu vermitteln, dass es in Ordnung ist, stressige Zeiten mit freien Tagen auszugleichen.

Fazit

Alternative Arbeitszeitmodelle tragen zu einer positiven Work-Life-Balance und zu dynamischen, produktiven Handeln in Unternehmen bei. Man sollte jedoch auch die damit verbundenen Risiken kennen, um Problemen entgegen zu wirken. Die Vorteile solcher Arbeitszeitmodelle liegen auf der Hand: Mitarbeiter fühlen sich wertgeschätzt und selbstbestimmt, was positive Auswirkungen auf die Motivation und die Identifikation mit der Arbeit haben kann. Alternative Arbeitszeitmodelle können so der Produktivität eines Teams zuträglich sein.

Allerdings muss dabei offen kommuniziert werden, wie die neuen Freiheiten genutzt werden können. Um Konflikten und persönlichem oder sozialem Druck vorzubeugen, können Regelungen oder Orientierungspunkte helfen – so fragen sich unsichere Mitarbeiter nicht ständig, ob sie die Freiheiten zu sehr ausnutzen und weniger unsichere Mitarbeiter geraten nicht in Gefahr, soziale Konflikte auszulösen, indem Sie die Freiheiten zu großzügig auslegen.

Das wichtigste bei der Einführung alternativer Arbeitszeitmodelle ist also, wie in jeder neuen Situation, eine offene Kommunikation.