08. April 2022 (aktualisiert am 28. September 2022)      Erstellt von Niklas Eckert      Arbeitsleben

"Antiwork": Die große Kündigung auf dem Arbeitsmarkt

Ist der American Dream ausgeträumt? In den Vereinigten Staaten haben seit Anfang 2021 über 30 Millionen Amerikaner ihren Job gekündigt. Was sind die Hintergründe und Perspektiven, die sich die Menschen von diesem Schritt erhoffen? Steht uns auch in Deutschland eine derartige Kündigungswelle bevor?

The Great Resignation

Während der Corona-Pandemie haben Millionen Amerikaner ihre Jobs gekündigt und sind somit aus ihrem zuvor geregelten Arbeitsalltag ausgebrochen. Zumindest der Gedanke daran ist jedoch nicht allein für die USA typisch. Weltweit zogen es im Jahr 2021 laut dem Microsoft Work Trend Index 40 Prozent der Beschäftigten in Erwägung, ihren aktuellen Arbeitgeber zu verlassen. In den Vereinigten Staaten kündigen sie jedoch tatsächlich, und das in Scharen. Alleine im April 2021 haben 4 Millionen Amerikaner ihren Job gekündigt, fast 750.000 von ihnen waren zuvor in der Freizeit- und Gastgewerbebranche tätig.

Viele der Arbeiter gehen über in die flexible Arbeiterschaft und sind fortan zum Beispiel selbstständig als Freelancer oder als Gig-Worker, sprich mit einem zeitlich befristeten Vertrag, tätig. Die Zahl der Selbstständigen lag im Februar 2022 bei 10 Millionen, was einem Wachstum von 400.000 Personen seit Beginn der Pandemie entspricht. Gleiches gilt jedoch auch für die Zahl der Arbeitslosen, die seit Februar 2020 von 3,5 auf 3,8 Prozent gestiegen ist. Gleichzeitig belief sich die Zahl der offenen Stellen in den USA auf mehr als 11 Millionen im Januar dieses Jahres. Die Erwerbsquote ist seit dem Tief zu Beginn der Pandemie zwar wieder gestiegen, bewegt sich aber immer noch 1,1 Prozent unter dem Niveau vor der Pandemie im Februar 2020.

Der Traum „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ verpufft

Doch wie kommt diese Entwicklung zustande? Ein Teil davon kann durch die demographischen Entwicklungen beschrieben werden, die eine alternde Bevölkerung mit sich bringen. Viele derjenigen, die bereits zu Beginn der Pandemie kurz vor ihrer Rente standen und entsprechende Ersparnisse vorweisen konnten, gingen in der frühen Ruhestand, nicht zuletzt, weil das Corona-Virus für sie als vulnerable Gruppe speziell am Arbeitsplatz eine erhöhte Gefahr darstellen kann.

Gerade in den jüngeren Bevölkerungsgruppen müssen jedoch andere Begründungen gefunden werden, um dieses Phänomen zu erklären. Laut einer Umfrage des Pew Research Centers stellte für 37 Prozent der befragten US-Amerikaner eine zu geringe Bezahlung den Hauptgrund für die Kündigung dar. Ähnlich relevante Kündigungsgründe waren jedoch auch die begrenzten Weiterentwicklungsmöglichkeiten sowie der fehlende respektvolle Umgang am Arbeitsplatz.

Natürlich haben auch die veränderten Gegebenheiten in der Arbeitswelt durch die Pandemie die Denkweise vieler Erwerbstätigen verändert. So ist bei vielen Arbeitnehmern zwar das Bedürfnis nach persönlichem Kontakt mit Kollegen gegeben, jedoch möchten ebenso viele Angestellte ihre gewonnene Flexibilität bewahren und möglichst viel remote arbeiten können. Für andere wiederum nimmt die berufliche Karriere nun eine weniger wichtige Rolle ein, stattdessen haben die privaten und persönlichen Bedürfnisse und Wünsche Vorrang.

Die Vorzeichen für den deutschen Arbeitsmarkt

Grundsätzlich herrscht auch in Deutschland eine nicht unerhebliche Bereitschaft, den Arbeitgeber zu wechseln. In einer Studie von Xing gaben 37 Prozent der Befragten an, einem Stellenwechsel offen gegenüberzustehen oder diesen Schritt bereits eingeleitet zu haben, was einem Plus von 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Tatsächlich haben seit Beginn der Pandemie 10 Prozent der Befragten ihren Job gekündigt, jeder Vierte davon ohne bereits eine neue Stelle zu haben.

Die Gründe dafür ähneln denen aus den Vereinigten Staaten und messen einer guten Führungskultur eine gar höhere Bedeutung zu als dem Gehalt. Das bestätigt auch Karrierecoach Bernd Slaghuis im F.A.Z Podcast für Deutschland, der vor allem die fehlenden Perspektiven innerhalb des Betriebs als weitere kritische Stelle sieht. Demnach bekommen Arbeitnehmer in ihren Jobs schlicht nicht die Möglichkeit, ihr Potenzial gänzlich zu entfalten. Laut Slaghuis wendeten sich während Corona jedoch viele Menschen nicht mit einer konkreten Kündigungs- oder Wechselabsicht an den Karrierecoach, sondern vor allem um einen Plan B in der Hinterhand zu haben.

Oliver Stettes vom Institut der Deutschen Wirtschaft sieht im Fall einer Kündigungswelle eher das positive für den gesamten Arbeitsmarkt. Sie würde letztlich dazu führen, dass das, was die Arbeitgeberseite anbietet und das, was die Arbeitnehmerseite sich wünscht, besser zusammenpassen. Eine mit den USA vergleichbare Kündigungswelle lässt sich in Deutschland allerdings (noch) nicht erkennen. Nichtsdestotrotz ist auch in Deutschland ein erneuter Anstieg der Stellenausschreibungen zu beobachten. Die demographische Entwicklung, durch die in Deutschland ebenfalls mehr Leute aus dem Berufsleben aussteigen als eintreten, wird zukünftig in jedem Fall zu einem noch höheren Wettbewerb der Arbeitgeber um die entsprechenden Talente führen.

Wie können die Unternehmen möglichen Kündigungen entgegenwirken?

In den USA hat „The Great Resignation“ bereits zu erheblichen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt geführt, vor allem zugunsten der Arbeitnehmer. Dadurch, dass es eine derartig hohe Zahl freier Stellen gibt und die Arbeitgeber um neue Beschäftigte kämpfen müssen, steigen die Löhne. Das reicht vielen Arbeitnehmern mittlerweile allerdings nicht mehr, die sich zusätzlich auch nach hybriden Arbeitsmodellen sehnen. Für die USA eher untypisch sind auch die Entgegenkommen auf Arbeitgeberseite in puncto social benefits wie zum Beispiel eine betriebliche Krankenversicherung.

Folgt man den Gründen, warum Menschen ihre Jobs kündigen und welche Erwartungen sie an ihre Arbeitsstelle besitzen, scheinen verschiedene Aspekte wie das Aufzeigen von Perspektiven oder Führungskompetenzen als hilfreiches Mittel, um die Arbeitnehmer zu motivieren. Eine allgemeingültige Formel, wie Arbeitgeber einer Kündigungswelle entgegenwirken können, ist jedoch nur schwer definierbar. Stattdessen ist es ratsam die individuellen Bedürfnisse der Beschäftigten zu erfragen und aktiv auf diese zuzugehen. Das, was für den einen Arbeitnehmer von Relevanz ist, spielt für den anderen möglicherweise lediglich eine untergeordnete Rolle.

Fazit

Die Corona-Pandemie hat das Denken vieler Menschen beeinflusst, die Sichtweise speziell von Arbeitnehmern auf ihre Arbeit auch hierzulande verändert und deren Bedürfnisse verschoben. Auch wenn die Folgen in Deutschland aktuell nicht derartig weitreichend sind wie in den USA, müssen Arbeitgeber heute und auch zukünftig den Arbeitnehmern attraktive Konditionen bieten. Dies gilt sowohl für bereits angestellte Mitarbeiter als auch für potenzielle Bewerber, um sich gegenüber Wettbewerbern durchzusetzen.

Ob die große Kündigungswelle letztlich auch auf Deutschland überschwappen wird, bleibt jedoch abzuwarten.